Mittlerweile kenne ich bereits einige Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner von Saas-Grund und manche jüdischen Touristen. Bei strahlendem Sonnenschein mache ich mich auf den Weg, um zu schauen, wo der Schuh heute drückt.

Die jüdischen Touristen, die ich gerade noch gesucht hatte, sind offensichtlich in Saas-Grund angekommen. Heute prägen sie das Dorfbild. Ich bin in Begleitung einer Journalistin des Radios unterwegs. Vor einem Mikrofon zu sprechen ist für mich etwas Neues, doch meine grösste Sorge ist im Moment, ob ich die Walliser Journalistin verstehen werde.

Erste kritische Stimmen

Auf dem Postplatz sind viele jüdische Touristen versammelt, die auf das Postauto in Richtung Saas-Fee warten. Ein Mann erzählt mir, dass sie bereits Auseinandersetzungen mit Einheimischen und einem Postautochauffeur gehabt hätten, weil ihre Gruppe, sie zählt 27 Personen, fast ein ganzes Postauto füllt. Deshalb habe man ihnen geraten, sich im Voraus anzumelden. Dieser Vorschlag stiess auf wenig Begeisterung. Sie wollten spontan entscheiden, wann sie wohin fahren. Ich kann seine Erklärung gut nachvollziehen.

Eine andere Person stört sich über die Vorwürfe, jüdische Touristen würden nichts konsumieren. Er würde seinen Kindern gerne ein Eis kaufen, doch kein Bergrestaurant biete koschere Snacks an. Ich kann ihn beruhigen: Ich habe nämlich erfahren, dass geplant sei, in den Restaurants der Bergbahnen einige koschere Lebensmittel anzubieten.

Unverständnis bei Einheimischen

Nachdem alle Leute im Postauto Platz gefunden haben, wir auch losfahren konnten, fahre ich schliesslich mit der Seilbahn zum Kreuzboden. Zusammen mit zwei Frauen sitze ich in einer Kabine. Das Wetter ist wunderschön. Ich bestaune das prächtige Alpenpanorama – ich kann gut verstehen, weshalb man seine Ferien regelmässig hier verbringt. Meinen Sitznachbarinnen erkläre ich, in welcher Mission ich im Saastal unterwegs bin. Für die jüdischen Touristen haben die beiden nicht viel übrig. Sie hoffen sogar, dass die Anzahl jüdischer Gäste nicht steigt, weil sie sich mit ihren schwarzen Mänteln, langen Röcken und grossen Hüten unpassend kleiden würden. Jede Person sollte doch tragen dürfen, was sie wolle, werfe ich ein. Die Frauen stimmen eigentlich zu – aber eben nur eigentlich. Ob die jüdischen Touristen auch durch ihr Verhalten auffallen würden, möchte ich wissen. Erst verneinen sie, dann aber bezeichnen sie sie doch als manchmal rücksichtslos, weil sie oft in grossen Gruppen unterwegs seien. Ich bin etwas ratlos und ich muss eingestehen, dass es mir nicht gelungen ist, die Frauen zu überzeugen, dass man Leute nicht auf Grund ihrer Kleidung schubladisieren sollte.

Und es braucht uns doch

Mein Fazit fiel bisher derart positiv aus, dass mir sogar der Gedanke durch den Kopf ging, ob ich als Likratina überhaupt gebraucht werde. Heute Abend weiss ich, dass es Likratinas und Likrations unbedingt braucht. Ich habe heute erlebt, dass es Situationen gibt, in denen sich die jüdischen Touristen und die einheimische Bevölkerung nicht verstehen. An diesem Punkt müssen wir ansetzen. Auch wenn wir nicht alle Unklarheiten, Missverständnisse und Vorurteile aus der Welt schaffen können, können wir doch zum Denken anregen. Dennoch hoffe ich, dass es in Zukunft allen so gehen wird wie mir: Befürchtungen, sich nicht zu verstehen, erweisen sich als unbegründet – ich habe die Walliser Journalistin problemlos verstanden.

Zu Teil 1

Zu Teil 2

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